Mut zum Verlieren. Joyce Carol Oates‘ »Über Boxen«

Von Susanne Krones (EMOTION 8/2013, online) –  Auch wer mit Boxen bisher rein gar nichts anfangen konnte, wird sich in diesen brillanten Essay verlieben, wenn erst eine erste irritierende Frage geklärt ist: Wie um alles in der Welt kann eine Schriftstellerin von Weltrang an einem so brutalen Sport Gefallen finden?

Die Frage, wieso sie Gefallen an einem solch brutalen Sport findet, so Oates, ließe keine Antwort zu, zu viel an ihr sei falsch: Sie fände nicht im üblichen Sinn des Wortes »Gefallen« daran, zudem sei Boxen nicht immer brutal; außerdem müsse sie Boxen nicht als Sport rechtfertigen, weil sie es nie als Sport gesehen habe. Boxen, so Oates, sei intim, zwei Gegner lassen den gesunden Menschenverstand zurück und begeben sich auf eine andere Bewusstseinsebene, sie nehmen Agonie in Kauf, deren Wurzel das griechische Wort für Kampf ist, und sie lassen zu, dass ein Dritter dabei ist, ein Voyeur – das Publikum. »Eines der Paradoxe beim Boxen ist der Umstand, dass die Bewusstseinswelt des Zuschauers von der des Boxers so verschieden ist, dass es schon eine Gegenwelt zu sein scheint.«

Eine Gegenwelt, in der es Rationalität und freien Willen nicht gibt, ebenso wenig den Zufall, und in der sich die Zeit auf magische Weise drehen kann. Schon dreiminütige Runden empfinden Boxer als extrem lang, so intensiv ist der Kampf. Eine Intensität, die Oates an den eigenen Schreibprozess erinnert, in dem der Moment ebenfalls eine ungeahnte Tiefe haben kann. Überhaupt hat für Oates Boxen viel mit dem Entwerfen einer guten Geschichte gemein: »Vergleicht man den Boxkampf mit einer Geschichte, so ist es eine unberechenbare Geschichte; alles kann passieren. Und das in Sekundenschnelle. Im Bruchteil von Sekunden.«

Wie literarische Autorschaft hat Boxen viel mit Täuschung zu tun: »Man kultiviert beim Boxen systematisch eine doppelte Persönlichkeit: eine gesellschaftlich akzeptable und die andere, die sich im Ring zeigt.« Und wie in der Literatur bleiben die tragischen Helden am längsten im Gedächtnis: »Den wirklichen Mut braucht man zum Verlieren, hat Floyd Patterson einmal gesagt. Gewinnen ist leicht.«

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