Zum Tod der Schriftstellerin Christa Wolf: Erinnerung an einen Münchner Störfall

Von Susanne Krones (Münchner Feuilleton Nr. 5, Februar 2012, S. 20) – Ohne Zweifel: Christa Wolf zählte zu den prägendsten Protagonistinnen ihrer Epoche. Subjektive Authentizität und engagierte Zeitgenossenschaft verliehen ihrem Werk internationale Bedeutung. Am 1. Dezember 2011 starb Christa Wolf in Berlin. Ihre Karriere ist auch mit der Stadt München eng verknüpft.

Susanne Krones über Christa Wolf

Wolf polarisierte. Wie keine andere Schriftstellerin ihrer Generation wurde sie verehrt und mit oft irrationaler Härte angegriffen. Auch ihr Tod bewegte die Menschen in ganz Deutschland. An die offizielle Gedenkfeier des Suhrkamp Verlags und der Akademie der Künste in Berlin schlossen sich Trauerfeiern in zahlreichen deutschen Städten an. Im Münchner Literaturhaus trafen sich zum »Nach-Denken über Christa W.« im Januar Schriftsteller Christoph Hein und Literaturkritikerin Frauke Meyer-Gosau, um an die Autorin zu erinnern.

Christa Wolf, 1929 in Landsberg an der Warthe geboren, zählte zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart. Ihr umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR (1963), dem Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (1977) und dem Georg-Büchner-Preis (1980). 1987 bekam Christa Wolf in München für ihren Roman »Störfall« den Geschwister-Scholl-Preis verliehen, ein Preis, der sie nicht zur Ruhe kommen ließ »wegen der Namen, an die er geknüpft ist«.

»Diese Vergangenheit ist nicht vergangen«

In ihrer Dankrede fragte Wolf nach dem Verhältnis ihrer nachgeborenen Generation zum deutschen Faschismus: »Das Unheil dieser zwölf Jahre hat sich nicht von uns entfernt; es ist, als rücke es immer noch näher.« Auch für sie, die Nachgeborene, bliebe die Wunde: »Diese Vergangenheit ist nicht vergangen. An sie zu rühren, weckt Schmerz, Scham, Schuldgefühle.«

Im ausgezeichneten Roman setzt sie sich mit dem Schock von Tschernobyl auseinander und gibt einer in die Zukunft gerichteten Angst Ausdruck, die viele bewegte: »Ich habe Angst, daß die Industriegesellschaften, in denen wir leben, vielen Menschen eine Existenzweise aufzwingen, die ihnen gerade diese Lebenslust und Liebesfähigkeit entzieht, und sie so auf Ersatzbedürfnisse hinmanipulieren, welche Politiker, Medien und Konsumindustrie mit ihren Techniken auf das Simpelste befriedigen können. Der mündige Bürger entsteht so nicht.«

Genau den aber brauche es, wenn unsere Welt eine Zukunft haben soll: »Besonnen, doch unbeirrt sollte man in der Gesellschaft, in der man lebt, so weit wie möglich an Veränderungen mitwirken, die notwendig sind, um diese Erde für das nächste Jahrtausend bewohnbar zu erhalten.« Wolf verstand ihren Roman als eine Stimme in einem vielstimmigen Dialog, der trotz aller Zweifel, die uns immer wieder befallen mögen, geführt werden muss. Bis heute ist er von bedrückender Aktualität.

Unglücklich das Land, das Helden nötig hat

»Unglücklich das Land, das Helden nötig hat«, zitiert Wolf Bertolt Brecht, und macht sechs Jahre nach ihrer legendären Münchner Rede selbst die Erfahrung, was es bedeutet, die, die einen einst zur Heldin stilisierten, zu enttäuschen. 1993 publizierte Christa Wolf in der Presse eine »Selbst-Auskunft« zu ihren Stasi-Akten: Sie, die mit ihrer Familie von 1968 bis 1989 nachweislich unter minutiöser Überwachung der Staatssicherheit stand, wurde als Dreißigjährige, von 1959 an, selbst drei Jahre von der Staatssicherheit als inoffizielle Mitarbeiterin geführt. Ihre Berichte sind spärlich und kaum zu gebrauchen; die Stasi streicht sie schnell wieder von der Liste. Doch für solche Zwischentöne jenseits von Schwarz und Weiß ist in der folgenden Debatte kein Platz, Wolf wird als »Staatsdichterin« angegriffen.

Die peinlichste Reaktion auf Wolfs Selbstauskunft dürfte der Vorstoß der bayerischen CSU im Münchner Stadtrat gewesen sein, Wolf den Geschwister-Scholl-Preis abzuerkennen. Der Vorstoß scheiterte im Januar 1993 an den Mehrheitsverhältnissen im Stadtrat und am Einspruch des Verbandes Bayerischer Verlage und Buchhandlungen. Inge Aicher-Scholl, älteste Schwester von Hans und Sophie Scholl, setzte sich ebenfalls für Christa Wolf ein.

2010 schließlich wurde Christa Wolf mit dem neugeschaffenen Thomas-Mann-Preis der Bayerischen Akademie der Künste München und der Hansestadt Lübeck ausgezeichnet, der aus dem Großen Literaturpreis der Akademie in München und dem Lübecker Thomas-Mann-Preis hervorgegangen ist. Die Jury begründete ihre Entscheidung mit dem tiefen moralischen Ernst und der erzählerischen Kraft, die von Wolfs Werk ausgingen.

Christa Wolf wird fehlen. Ihren Kritikerinnen und Kritikern mindestens ebenso wie ihren Anhängern.

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