»Die Aufgabe eines jeden Schriftstellers liegt in der Sprache«. Assia Djebar

Assia Djebar, die bedeutendste Gegenwartsautorin des Maghreb, hat das Schweigen von Generationen algerischer Frauen gebrochen. Mit einem schlichten Satz hat die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels in ihrer Frankfurter Rede den Schriftstellern ihre ureigene Aufgabe zugesprochen: die Sprache. Sie selbst hat sie für das Französische meisterhaft gelöst und  sich in der zunächst fremden Sprache einen eigenen Rhythmus, eigene Metaphern und eine eigene Melodie erschrieben.

Assia Djebar zitiert an einer Schlüsselstelle ihres Werks einen Satz von Michaux – »Ich schreibe, um mich zu durchreisen« – den sie sich zu eigen macht, in dem sie ihn fortsetzt: »mich zu durchreisen im Verlangen nach dem Feind von gestern, dessen Sprache ich gestohlen habe«. Ein Motto, das auf zweierlei verweist: Auf die engagierte Dimension von Djebars Literatur, die dem Feind von gestern nachschreibt, und auf die besondere Bedeutung, die der Sprache zukommt, in der sie sie geschrieben hat, ihrem Französisch.

Zwei Publikationen eignen sich unter den zahlreichen, durchweg faszinierenden Romanen der Autorin besonders dazu, diesen beiden Dimensionen nachzuspüren: Die »Frankfurter Rede« anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2000 und der autobiographische Roman »Fantasia«.

Assia Djebar wurde 1936 in Cherchell, einer kleinen Küstenstadt bei Algier, geboren. Sie besuchte die Koranschule und die französische Grundschule, an der ihr Vater Französisch unterrichtete. Als erste Algerierin wurde sie an der École Supérieure in Paris zugelassen. 1956, in den ersten Jahren des algerischen Unabhängigkeitskampfes, nahm sie am Streik der Algerischen Studenten teil. Ihren ersten Roman, »Die Zweifelnden«, legte sie bereits 1957 vor; sie schrieb ihn innerhalb von zwei Monaten während der Studentenunruhen im Jahr zuvor. Drei weitere Romane folgten bis 1967. Während des Befreiungskrieges arbeitete Djebar für die Zeitung der antikolonialistischen FLN; auch als Assistentin an der Universität von Rabat engagierte sie sich für zahlreiche algerische Initiativen. Sie unterrichtete nordafrikanische Geschichte und arbeitete gleichzeitig für die algerische Presse und das Radio. Mit der Unabhängigkeit Algeriens wurde Djebar zunehmend dafür kritisiert, dass sie Französisch schrieb; Mitte der Siebziger begann sie, klassisches Arabisch zu studieren, um ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern und die französische Sprache durch Klänge und Rhythmen des Arabischen zu erweitern. Nach zehn Jahren literarischem Schweigen veröffentlichte Djebar 1980 mit Die Frauen von Algier wieder einen Roman, ihre bekanntesten Werke folgten: »Fantasia«, »Die Schattenkönigin«, »Fern von Medina«, »Weit ist mein Gefängnis«, »Weißes Algerien« und »Nächte in Straßburg«. Daneben unterrichtete sie über lange Jahre Geschichte an der Universität von Algier. Seit 1997 ist sie Professorin am Zentrum für französische Studien der Louisiana State University. Ihre Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Einige ihrer Romane, etwa »Die Frauen von Algier«, hat sie in erster Linie für ein algerisches Publikum geschrieben. Algerien aber »war nicht bereit, sich den Rissen in seinem sozialistischen Spiegel zu stellen«, wie es in kritischen Rezensionen heißt. In Europa dagegen wurde Djebars Werk überwältigend positiv aufgenommen, in Nordafrika gelobt oder zensiert, abhängig von ideologischen Schwankungen und dem jeweiligen Regime. Das ist eines der verwirrenden und gleichzeitig faszinierenden Momente ihrer Prosa: Obwohl für Frauen der Dritten Welt konzipiert, erreicht sie doch die Erste Welt und schmilzt durch ihre ungewöhnliche Intensität ein, was Djebar den Abgrund zwischen den Sprachen nennt – »was ich als Abgrund zwischen den beiden Sprachen bezeichne, zwischen Arabisch und Französisch, einen Abgrund, der den gähnenden Abgrund zwischen zwei Gesellschaften widerspiegelt, die immer noch Seite an Seite leben, einander aber beharrlich den Rücken zuwenden.«

Der Abgrund schmilzt, weil Djebar keine soziologischen oder politischen Analysen vorlegt, keine historischen Romane, keine Dokumentationen, sondern eine private, fast intime Literatur schreibt, die Identifikation auch mit der fremden Kultur ermöglicht. Immer geht es um den Versuch, sich eine kleine, persönliche Freiheit zu erobern. Assia Djebar hat ihre Freiheit im Schreiben gefunden, verteidigt sie nachdrücklich und fordert sie ein auch für die anderen Frauen ihrer Heimat:

»Nie aufs Schreiben verzichten, wenn man eine Frau ist und aus dem Süden. Die Kontinente hören das unendliche Schweigen seit Generationen, die allzulange ohne ein schriftliches Zeugnis blieben. Aber die mündliche Überlieferung ist unerschöpflich, mächtig und magisch wie ein Ozean und dunkel wie das Vergessen! So wird für uns das Schreiben eines Romans zu einem Neubeginn: erstmals den Anker auswerfen, der Überfülle von Erinnerungen begegnen, den Müttern, den Ahnen, den Erzählern und Erzählerinnen im Straßenstaub, die ihre improvisierten Verse durch den brodelnden Fluss der Jahrhunderte tragen. Bis sie eines Tages zur Ruhe kommen am Ohr eines Kindes – mitten im afrikanischen Busch oder im Innenhof eines arabischen Hauses oder in der Küche eines amerikanischen Vororts, wo eine Großmutter sich lachend erinnert.«

»An alle meine Wände heftete ich Skizzen zu meinem Roman, und zur gleichen Zeit zerbarst mein Land. So habe ich auf meine Weise das Land wieder auferstehen lassen.« Assia Djebar

Wenn Assia Djebar schreibt, ist sie niemals Außenstehende, niemals Zuschauerin; alles, was sie schreibt, liest sich authentisch, was sie erzählt, wirkt privat und wie vertraulich, es ist ihre Heimat, für und gegen die sie anschreibt. Sie wehrt sich gegen das Verschweigen weiblicher Präsenz – die Geschichten, die sie gerade in Fern von Medina erzählt, scheinen wahrer als das überlieferte Geschichtsbild der Historiker –, gegen das Gefängnis Tradition, und zeichnet doch ein Algerien, dessen Faszination man sich beim Lesen nur schwer entziehen kann. »Mein Ziel war«, schreibt sie in der Frankfurter Rede, »die bleierne Stummheit der algerischen Frauen spürbar zu machen, die Unsichtbar ihrer Körper.«

Es gelingt ihr – mit eigenem Rhythmus, ihr eigenen Metaphern und eigener Melodie. In ihrer Prosa baut Assia Djebar sehr stark auf Typographie und Aufteilung der Seiten, um polyphone Aspekte, Gleichzeitigkeiten sichtbar zu machen, um Sprach- und Frauenfrage zu verbinden. Sie setzt ganz verschiedene literarische Formen zu einer Roman-Partitur zusammen, in die sie verschiedene Motive und Zitate anderer Autoren einflicht.

»Der Körper der Frau ist dem Eroberer entronnen. Dies wird uns heute erzählt, in großartiger Sprache, durch eine große Schriftstellerin.« Tahar Ben Jelloun

Das Französische hat sich Assia Djebar nicht ausgesucht. Sie ging in den vierziger Jahren, während der Kolonialzeit in eine französische Schule, war, bis zum Abitur, die einzige arabische Schülerin unter lauter Französinnen. »Selbst wenn ich das literarische Arabisch in der Schule hätte lernen wollen, es wurde gar nicht unterrichtet.« Im Unterricht wurde Französisch gesprochen, Englisch, Latein und Griechisch gelehrt; Arabisch lernte sie in der Koranschule, einer kleinen Privatschule, wie sie sie in ihrem Roman Fantasia beschreibt.

Das Französische, die Sprache des ehemaligen Kolonisators, wurde ihr »unverrückbar«, wie sie selbst sagt, »zur Sprache des Denkens«, während ihre »Sprache der Liebe, des Leidens und auch des Gebets« das Arabische, ihre Muttersprache, blieb. So schrieb sie ihre ersten Romane auf Französisch, ohne sich zu überlegen, was das für ihre Identität bedeuten könnte. Doch die Zweifel kamen, und Assia Djebar schrieb zehn Jahre lang keine Zeile mehr. Sie arbeitete in dieser Zeit an Dokumentarfilmen, erstellte zur französischen Fassung von »La nouba des femmes« auch eine arabische Version, in der sie die Frauen im O-Ton sprechen ließ. In diesem Spiel mit den Sprachen fand sie einen neuen Zugang zum Schreiben und begriff, dass sie französisch schreiben konnte und doch einen eigenen Rhythmus, eine eigene Art des Fühlens nicht verleugnen musste: Sie baute das Vertraute in die fremde Sprache ein: »Seit diesem Moment wurzelt wahrscheinlich mein Stil, möglicherweise aber auch mein gedanklicher Aufbau, auf jeden Fall der Rhythmus meiner Sätze, in einem Feld außerhalb der französischen Sprache, nämlich im Arabischen und Berberischen.« Seitdem kann Assia Djebar die französische Sprache akzeptieren, weil sie sie gestaltet. Es ist ihr Französisch geworden.

Dass das starke, kraftvoll bewegte Moment in Djebars Schreiben auch beim Übersetzen nicht verloren geht, beweisen die gelungenen deutschen Ausgaben verschiedener Übersetzer. Besonders in der zweisprachigen Ausgabe der Frankfurter Rede (übersetzt von Beate Thill) kann man sich davon überzeugen.

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