Handschrift im digitalen Zeitalter (26.12.2008)

schwarzenbach-ausstellung

»Annemarie Schwarzenbach – eine Frau zu sehen«
19. März bis 1. Juni 2008, Museum Strauhof, Zürich

Eine handschriftliche Aufzeichnung, ein Brief erinnern viel unmittelbarer als jedes digitale Dokument, eben weil sie die Unwiederholbarkeit des Augenblicks ihres Entstehens wesentlich auszeichnet. Claude Bourdet, der etwa fünfzig Briefe der Schweizer Schriftstellerin und Fotografin Annemarie Schwarzenbach in ihren Briefumschlägen sorgfältig aufbewahrt hat, schrieb über die Lektüre dieser Briefe, die ihm Schwarzenbach immer wieder gegenwärtig machte: »Die Erinnerung an sie, die Farbe ihrer Handschrift lassen mich beben, als wenn es gestern gewesen wäre.« Das unterscheidet sie etwa von einer Lektüre der Typoskripte oder gar Buchveröffentlichungen Annemarie Schwarzenbachs: dass die handschriftlichen Briefe eine weitere Dimension zugänglich machen. Die Farbe ihrer Handschrift, ihre Schrift an sich und deren Verfassung im Augenblick des Entstehens dieses Briefes – flüchtiger oder eleganter, kräftiger oder blasser, gezielter oder verspielter als sonst.

Unaufgeschriebenes teilt sich mit über die Handschrift, vieles auch unbewusst, ohne dass die Schreiberin es hätte beeinflussen können. Das genau entspricht auch Schwarzenbachs Ideal vom Schreiben: einem automatischen Schreiben, bei dem sie ihren Federhalter ganz unmittelbar ihren Gedanken folgen lässt, um ausschließlich aus sich selbst Sinn, Figuren, Wahrheiten zu holen. Dieses Aus-sich-selbst zeichnet Handschrift aus: Sie lässt im strengen Sinn kein Copy-and-Paste-Verfahren zu. Was immer man verarbeitet, eignet man sich ungleich intensiver an als bei der Arbeit mit digitalen Schreibverfahren – indem man es eben abschreibt, durch die eigene Feder laufen lässt. Man erreicht eine gänzliche andere Intensität der Auseinandersetzung mit dem fremden Text, produziert auch eigene, individuelle Fehler, Abweichungen und Akzentuierungen, die beim maschinellen Copy-and-Paste nicht passiert wären. Das Schreiben am PC eröffnet dagegen eine andere Art von schreibender Intensität: Er erlaubt, im Schreiben problemlos und spurlos Varianten zu verwerfen. Elfriede Jelinek beschreibt den Computer als »ein Tier«, das sie »zum Spielen, zum Spielen mit Sprache auffordert.«

Dieser manchmal verspielte, manchmal existentielle Kampf um das richtige Wort und den richtigen Platz für das richtige Wort, den gibt es immer beim Schreiben. Nur ist dieser Kampf in digital am PC verfassten Texten nicht mehr sichtbar, in handschriftlich verfassten (so sie nicht noch mal »ins Reine« geschrieben sind) hinterlässt er Spuren: die Souveränität ebenmäßiger Zeilen und regelmäßiger Absätze, die gehetzte Atemlosigkeit verschwindender Ränder und immer engerer Zwischenräume, die ratlose, freizügige Arbeit mit Lücken. Das merke ich, wenn ich mit handschriftlichen Quellen und Archivalien arbeite, Manuskripten und Schriftstellerbriefwechseln. Ich merke es auch, wenn ich schriftliche Arbeiten meiner Studentinnen und Studenten lese – handgeschriebene Klausuren, deren Antworten mir leichtes Spiel oder Startschwierigkeiten, souveräne Überlegtheit oder Ratlosigkeit, Eile oder gemächliche Unterforderung verraten, oder am PC verfasste Hausarbeiten, in denen sich all diese Spuren verloren haben.

Lesen Sie dazu auch: »Ich bin mein Medienwandel«: »Das digitale Wort ist beliebig oft exakt reproduzierbar. Das analoge nicht. Und das macht dann auch in meiner digitalisierten Medienbiographie eben doch noch einen Unterschied.« (MM, 23.2.2008)

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2 Kommentare zu “Handschrift im digitalen Zeitalter (26.12.2008)”

  1. Geschrieben von Lisa am 25. Januar 2009 um 22:17 Uhr

    Die Schwarzenbach-Ausstellung, die bis 1. Juni 2008 in Zürich zu sehen war (danach in Berlin, soweit ich weiß), war wirklich beeindruckend. Sie hat sich nämlich den „analogen“ Dokumenten auch auf „digitale Weise“ genähert.

    Eine solche digitale Annäherung an ein analoges Lebenswerk aus Manuskripten, Typoskripten und Fotografien ist „Lebensfluss“, eine Videoinstallation der Künstlerin Syl Bertulius. Sie hat aus historischen Schwarz-Weiß-Fotos und -Filmen, Musik und gesprochenen Texten Annemarie Schwarzenbachs eine atmosphärische Videocollage zusammengestellt, die den Blick auf das Werk genauso wie auf das Leben Annemarie Schwarzenbachs lenkt. In der Ankündigung dazu hieß es: „Schwarzenbachs eigene Bilder von Reisen im Orient und den USA sowie Porträts, auf denen die Autorin selbst zu sehen ist, werden in vier Projektionen nebeneinander gezeigt. Korrespondierend zu einer der Bilderreihen ist das Rosenkavalierskostüm ausgestellt, das 1911 für die Opernsängerin Emmy Krüger – die Geliebte von Annemaries Mutter Renée Schwarzenbach – angefertigt wurde und in dem Annemarie Schwarzenbach Anfang der 1920er Jahre fotografiert wurde. Zeitgleich mit der Projektion der damals entstandenen Bilder, wird das im Raum hängende Kostüm angeleuchtet. Die Reihen von historischen Bildern wechseln sich mit einem atmosphärischen Bild von fließendem Wasser ab, das sich in einer langen Projektion über die ganze Fläche aus Streusalz ziehen.“

    Einen kleinen Ausschnitt könnt ihr online ansehen (wenn der lange Link funktioniert – ansonsten einfach mal die Hauptadresse http://www.iart.ch probieren und unter den abgeschlossenen Projekten recherchieren):

    http://www.iart.ch/010_projektarchiv/011_2008-abgeschlossene-projekte/annemarie-schwarzenbach-eine-frau-zu-sehen-%E2%80%93-sonderausstellung-im-museum-strauhof-zurich/

    Übrigens: Ein wunderschöner Text, Frau Krones! Ich glaube, gerade im digitalen Zeitalter ist Handschrift etwas Besonderes. Und transportiert soviel mehr Informationen, als ein digitales Medium es kann.

  2. Geschrieben von Susanne Krones am 16. August 2010 um 08:28 Uhr

    Aktuell in der „Financial Times Deutschland“ – auch ein spannender Artikel zum Thema:

    „Verfall der Handschrift. Das kann ja keiner lesen“
    Weil man als Büromensch ständig vor dem Rechner sitzt, greift kaum noch jemand zu Stift und Papier. Folge: Die Handschrift verkümmert. Unser Autor hat inzwischen sogar Schwierigkeiten, seine eigene Klaue zu entziffern. Kann man dagegen gar nichts tun?
    Von Rainer Leurs …

    http://www.ftd.de/lifestyle/outofoffice/:verfall-der-handschrift-das-kann-ja-keiner-lesen/50156512.html