Sind Bücher in Deutschland zu teuer? Von wegen! (21.11.2008)

Hardcover mit Schutzumschlag unter fünf Euro? Die Süddeutsche Zeitung hat es vorgemacht und 50 Romane des 20. Jahrhunderts zu je 4,90 auf den Markt geworfen. Weil das Projekt so erfolgreich war, zieht die Konkurrenz nach: Die BILD ebenfalls mit einer belletristischen Buchreihe, die ZEIT mit einem mehrbändigen Lexikon. Die SZ hat mit der SZ-Bibliothek ihr eigenes Image aufpoliert und ein großes Publikum animiert, die Nase in 50 bedeutende Bücher zu stecken – beides ist gut so. Gleichzeitig aber droht mit dem Trend zum Billig-Buch etwas verloren zu gehen: Das Gefühl für die Wertigkeit des Mediums Buch, die bei einem gut gemachten Titel sehr weit jenseits der 5 Euro liegt.

Neben den körperlichen Qualitäten, etwa der Wertigkeit des verwendeten Materials, der Gestaltung von Umschlag, Einband, Text und Bild, der Sorgfalt, die für Druck und Bindung aufgewandt wurden, hat ein Buch auch inhaltlichen, unkörperlichen Wert: Die Autoren-, Übersetzer- und Lektorenleistung, die dafür erbracht wurde. Meist geht der inhaltliche Anspruch, ein Programm zu machen, das nicht austauschbar ist, mit dem ästhetischen Anspruch, schöne Bucher zu machen, einher.

Ein Buch ist Kulturgut und Ware gleichzeitig, Kind einer Mesalliance von Geist und Geld. Vorstellbar wäre, dass sich diese unglückliche Verbindung in jedem Verlag aufs Neue problematisch zuspitzt – in den Abteilungen Lektorat und Vertrieb, von denen sich die erste für das Kulturgut, die zweite für die Ware Buch zuständig fühlt. In guten Verlagen ist gerade das nicht der Fall: Nur, wenn beide Abteilungen in die gleiche Richtung wollen, optimal zusammenarbeiten, sind Entdeckungen und Wiederentdeckungen möglich. Dafür braucht es sowohl die Spürnase des Lektorats als auch die Marktkenntnis des Vertriebs, und jede neue Entdeckung, die mit großer Wahrscheinlichkeit zunächst ein Verlustgeschäft sein wird, braucht einen stabilen Backlist-Titel, der sie finanziert.

Diesen Mechanismus der Mischkalkulation, der für die neu erscheinende Literatur so wichtig ist, hebeln die Billig-Buchreihen aus: Sie arbeiten nur mit Lizenzen, investieren also von der Auswahl der Titel abgesehen keine eigene inhaltliche Arbeit, setzen auf etablierte Titel, die garantiert funktionieren, und bieten sie in standardisierter Ausstattung billiger an als Verlage das könnten, die im eigenen Haus Neuerscheinungen mitfinanzieren und Entdeckungen machen möchten. Wer zu günstig kauft, schneidet neuer Literatur, schneidet Experimenten die Luft ab. Und sägt als Leser an dem Ast, auf dem er sitzt.

Erstmals erschienen als „Geist und Geld. Zeitschriften und Zeitungen überschlagen sich derzeit mit Billigbuchreihen. Sind Bücher in Deutschland zu teuer? Von wegen!“, in: FORUM 2/2004, S. 64

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Ein Kommentar zu “Sind Bücher in Deutschland zu teuer? Von wegen! (21.11.2008)”

  1. Geschrieben von Ida am 08. Dezember 2008 um 17:27 Uhr

    Geist im Schleudertrauma

    Es stimmt, Geist und Geld passen nicht so recht zusammen. Geist wird nie seinen angemessenen Gegenwert in der Gesellschaft bekommen, auch deshalb nicht, weil Geistvolles sich nicht einfach konsumieren lässt, sondern Anstrengung abverlangt. Dafür will man nicht auch noch „viel“ zahlen müssen. So sind die Fakten — leider.
    An der SZ-Bibliothek ärgert micht, dass die eigentliche Absicht so sehr klar ist: Wir brauchen Geld, also müssen wir eine Quelle finden, die noch keiner entdeckt hat: Weltliteratur zum Schleuderpreis.

    Ida