Formen des Erinnerns. Das Brecht-Haus in Augsburg

Schreiben heißt auch: Spuren hinterlassen. »An die Nachgeborenen«, so hat Bertolt Brecht es formuliert. Brecht, »öfter die Länder als die Schuhe wechselnd«, hat seine Spuren vielerorts hinterlassen: Die Tschechoslowakei, Österreich, Frankreich, die Schweiz, Dänemark, Schweden, Finnland, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten von Amerika waren Stationen seines Exils. Wahrgenommen wird Brecht als Berliner Autor, wo er sich mit dem Theater am Schiffbauerdamm, dem heutigen Berliner Ensemble, selbst ein lebendiges Denkmal gesetzt hat. Wie den Spuren eines solchen Lebens folgen? Fangt vorne an.

Lakonisch wie ein Brecht-Satz führt der Hinweis in Brechts Geburtsstadt. Vorne, das ist Augsburg. Die Stadt, in der Brecht die längste Zeit seines Lebens verbracht hat. Wer das dortige Brechthaus besucht, so scheint es, findet die Spuren seiner Augsburger Jahre versammelt. Kinderfotos, Familienbilder, ein Taufbesteck, ein mittelmäßiges Jahreszeugnis. Dazwischen, als Gegenstände präsentiert, hektographierte Exemplare von Brechts Schülerzeitung »Die Ernte«, Tagebücher, Notizen der frühen Jahre.

Die Art der Präsentation lenkt die Aufmerksamkeit der Betrachter auf das Außen: Das Schriftbild, das Papier, die vergilbten Ränder, die den historischen Abstand spürbar machen. Das Innen, die inhaltliche Seite der Texte, die auf den Schautafeln zu Brechts großen Dramen dominieren wird, spielt keine Rolle. Dabei erschien im sechsten Heft der »Ernte« Brechts erstes Drama, sein Einakter »Die Bibel«, der Ausgangspunkt für die fortwährende Bibelrezeption in Brechts Lebenswerk, und schon in seinen frühen Tagebüchern finden sich große, größte Sätze:

Meine Mutter:

Ich liebte sie auf meine Weise,

aber sie wollte auf die ihre

geliebt sein.

Das ist der Augsburger Brecht, ein großer Autor an seinem Anfang; das Augsburger Brechthaus verdeckt ihn fast ganz. Es präsentiert kein Werden, sondern ein Resultat. Dabei will es modern sein, es inszeniert wertvolle Originale, Erstausgaben, Brecht-Büsten und historische Filmaufnahmen über Farbe und effektvolle Beleuchtung. Dabei inszeniert es das Image des großen Brecht, von Fotokünstlern zahlreich reproduziert, eingegangen in die Kultur der Moderne. Der junge, der Augsburger Brecht, hat das nicht zu bieten. Dafür ungleich mehr: Nur seine Texte. Unbekannte, noch unverstellt von Rezeption, von den Debatten um den politischen Standpunkte Brechts.

Das ist die große Chance, die ein Augsburger Brechthaus gehabt hätte, die es verspielt hat – indem es sich angelehnt hat an die Formen, in denen Berlin an Brecht erinnert – an die »Marke Brecht«. Die etablierte Form des Erinnerns an Brecht funktioniert in Berlin, in Augsburg muss sie versagen. Schon Brecht hat gespürt, dass das zwei Welten sind: Die Kleinbürgerlichkeit, die Brecht in Augsburg provoziert und produktiv gemacht hat, hat ihn in Ostberlin deprimiert. Wäre er auf umgekehrten Wegen der Gleiche geworden?

Wird man, was man ist – ist man, was man wird? Fragen, wie sie ein reines Autorenmuseum – und so verstehen sich die Brechthäuser – nicht beantworten kann. Brecht hätte eine Art Werkmuseum verdient, wie es Enzensberger mit seinem »Museum der modernen Poesie« für die moderne Lyrik geschaffen hat: In gedruckter Form, aber keine Gesamtausgabe, ein Querlesen, eine Spurensuche im Text. Eines, in dem es um Schreiben geht, um die Arbeitsweise eines Autors. Augsburg böte Potential und Material. Hier begann Brechts Schulfreundschaft mit Caspar Neher, der später, als einer der größten deutschen Bühnenbildner, seine Inszenierungen ausstattete. Hier lagen die Grundlagen für Brechts Arbeitsweise im Team, dessen Anerkennung und Inspiration er brauchte. Fäden, die sich in Augsburg knüpften und sich noch heute dort verfolgen lassen. Rund 70 Veröffentlichungen des jungen Brecht liegen vollständig in der Staats- und Stadtbibliothek vor. Ein Schatz.

Ein Schatz, dessen Wert nicht nur die Stadt Augsburg, die mit Brecht lange ihre Schwierigkeiten hatte – sein Gymnasium ist bis heute nicht nach Brecht, sondern nach dem Heimatdichter Peutinger benannt -, bis heute verkennt. Dahinter steht das generelle Dilemma einer Literaturwissenschaft, die noch immer einem starren Werk-Begriff folgt und den Schaffensprozess, das Werden eines Autors, ausblendet. Wer Dichter ist, interessiert – nicht, wer auf dem Weg dahin ist. Eine Einschätzung, die zerstörerisch werden kann, bewirkt sich doch kärgliche Literaturförderung, schlechte Arbeitsbedingungen für Autoren und eine übersteigerte Überhöhung von Klassikern, die oft deren Entleerung durch eine rein touristische Nutzung nach sich zieht, zumindest mit.

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